Zum Inhalt springen

Therapie auf Neuro

Therapie auf NeuroHirnforschung + Psychotherapie, Achtsamkeit, EMDR, Bindungstherapie – viele erfolgreiche Therapieansätze gab es schon lange vor den großen Erkenntnissen der Hirnforschung. Heute liefern Gehirnscans und Studien überzeugende Erklärungen, doch entsteht daraus wirklich eine neue Therapie? Ein genauer Blick zeigt: Die Hirnforschung bringt weniger Revolution als Evolution in die Psychotherapie.

Die Hirnforschung spielt eine zunehmend wichtige Rolle in der Psychotherapie, aber oft eher als unterstützendes Argument oder als nachträgliche Erklärung, nicht unbedingt als direkte Grundlage für die Entwicklung spezifischer therapeutischer Techniken. Viele Techniken, die heute mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen begründet werden, wurden tatsächlich lange vor den entsprechenden Forschungsergebnissen entwickelt und validiert.

neurowissenschaftlichen Erkenntnisse

Die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse helfen meist dabei, die Wirksamkeit der Methoden besser zu verstehen oder zu erklären, und geben gelegentlich auch Hinweise auf Optimierungsmöglichkeiten. Einige Beispiele für Techniken und Ansätze, die entweder auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen basieren oder durch diese verständlicher geworden sind:

Achtsamkeit (Mindfulness)

Ursprung: Achtsamkeit hat ihre Wurzeln in alten buddhistischen Traditionen und wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem durch Jon Kabat-Zinns “Mindfulness-Based Stress Reduction” (MBSR) in die Psychotherapie integriert.

Neuroscience-Einfluss: Studien zeigen, dass regelmäßige Achtsamkeitspraxis die Aktivität im präfrontalen Cortex (wichtig für Emotionsregulation) und die Verbindung zum limbischen System stärken kann. Diese Erkenntnisse haben zur Popularität und Weiterentwicklung von Achtsamkeitstechniken in der Psychotherapie beigetragen, wie etwa in der achtsamkeitsbasierten kognitiven Therapie (MBCT).

Direkte Entwicklung basierend auf Hirnforschung?: Eher nicht. Achtsamkeitstechniken wurden entwickelt und etabliert, bevor die zugrunde liegenden neuronalen Mechanismen verstanden wurden.

Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)

  • Ursprung: EMDR wurde in den späten 1980er Jahren von Francine Shapiro entwickelt, ohne dass die neurobiologischen Prozesse damals bekannt waren. Die Technik basiert auf der Idee, dass bilaterale Stimulation (z. B. Augenbewegungen) hilft, traumatische Erinnerungen zu verarbeiten.
  • Neuroscience-Einfluss: Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass bilaterale Stimulation möglicherweise den Zugang zu belastenden Erinnerungen erleichtert und gleichzeitig die Aktivität im limbischen System reduziert, was zur Emotionsregulation beiträgt. Auch die Aktivierung des frontalen Cortex wird diskutiert, was den Patienten hilft, die emotionale Distanz zu belastenden Erinnerungen zu vergrößern.
  • Direkte Entwicklung basierend auf Hirnforschung?: Nein. EMDR wurde unabhängig von neurowissenschaftlichen Theorien entwickelt, aber nachträglich neurobiologisch erklärt und plausibilisiert.

Neurofeedback

  • Ursprung: Neurofeedback basiert direkt auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen und wurde als Methode entwickelt, um Patienten durch Rückmeldung ihrer eigenen Hirnaktivität zu helfen, bestimmte Hirnwellenmuster zu beeinflussen.
  • Neuroscience-Einfluss: Neurofeedback greift unmittelbar auf EEG-Messungen zurück und ermöglicht Patienten, durch gezieltes Training ihre Hirnaktivität zu steuern (z. B. Alpha- oder Beta-Wellen). Besonders bei ADHS und Angststörungen hat sich diese Technik als nützlich erwiesen.
  • Direkte Entwicklung basierend auf Hirnforschung?: Ja, Neurofeedback ist eines der wenigen Beispiele für eine Technik, die unmittelbar auf neurowissenschaftlichen Messmethoden und Erkenntnissen basiert.

Transkranielle Magnetstimulation (TMS) und andere neuromodulatorische Verfahren

  • Ursprung: TMS wurde direkt aus neurowissenschaftlicher Forschung entwickelt und nutzt Magnetfelder, um bestimmte Hirnregionen (z. B. den dorsolateralen präfrontalen Cortex) zu stimulieren oder zu dämpfen, die bei Depression oder anderen psychischen Störungen unteraktiv sind.
  • Neuroscience-Einfluss: Diese Verfahren basieren auf genauen Kenntnissen der Hirnfunktionen und haben in der Therapie von Depressionen und anderen Erkrankungen an Bedeutung gewonnen.
  • Direkte Entwicklung basierend auf Hirnforschung?: Ja, neuromodulatorische Verfahren wie TMS sind eine direkte Anwendung neurowissenschaftlicher Technologien in der Psychotherapie.

Bindungsbasierte Interventionen und die „korrigierende emotionale Erfahrung“

  • Ursprung: Bindungstheorie und bindungsbasierte Interventionen (z. B. in der psychodynamischen Therapie) wurden durch die Arbeiten von John Bowlby und Mary Ainsworth inspiriert, bevor die neurobiologischen Mechanismen im Detail bekannt waren.
  • Neuroscience-Einfluss: Die Hirnforschung hat das Verständnis von Bindungserfahrungen und sozialen Interaktionen erweitert, insbesondere durch die Entdeckung der Rolle von Oxytocin und den Spiegelneuronen. Diese Erkenntnisse unterstützen die Annahme, dass eine stabile therapeutische Beziehung therapeutisch wirkt, da sie in der Lage ist, emotionale und neuronale Muster neu zu formen.
  • Direkte Entwicklung basierend auf Hirnforschung?: Nein. Bindungsbasierte Ansätze wurden unabhängig von der Hirnforschung entwickelt, aber neurowissenschaftlich untermauert.

Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT)

  • Ursprung: MBCT kombiniert kognitive Verhaltenstherapie mit Achtsamkeitstechniken und wurde als Interventionsmethode entwickelt, um Rückfälle bei Depressionen zu verhindern.
  • Neuroscience-Einfluss: Studien zeigen, dass MBCT die Aktivität in Regionen des Gehirns, die für Emotionsregulation und Selbstwahrnehmung zuständig sind, verändert. Diese Ergebnisse werden oft als Begründung für die Integration von Achtsamkeit in kognitive Therapieansätze verwendet.
  • Direkte Entwicklung basierend auf Hirnforschung?: Teilweise. Die Methode wurde nicht primär aus der Hirnforschung heraus entwickelt, jedoch haben neurowissenschaftliche Ergebnisse ihren Einsatz bestätigt und verstärkt.

Psychotherapie braucht Praxis + Forschung

Die meisten psychotherapeutischen Techniken, die heute neurowissenschaftlich begründet werden, basieren ursprünglich nicht direkt auf Erkenntnissen der Hirnforschung, sondern auf klinischen Beobachtungen, psychologischen Theorien und empirischen Studien zur Wirksamkeit.

Die Hirnforschung wird oft als Argument oder Erklärung genutzt, um die Effekte dieser Techniken besser verständlich zu machen und ihre biologische Plausibilität zu erhöhen. Direkte neurowissenschaftliche Entwicklungen sind rar, und nur einige wenige Techniken, wie Neurofeedback oder TMS, nutzen Hirnaktivität unmittelbar als Interventionsziel.

Neurowissenschaften tragen jedoch wertvoll zur Fundierung bestehender Techniken bei, indem sie neue Erkenntnisse zur Plastizität, Emotionen und kognitiven Prozessen liefern.