Neuromythen, Cash mit Hirn? Wir wollen intelligenter sein, schneller lernen, unser Potenzial voll ausschöpfen. Doch der Weg dorthin ist gepflastert mit neurowissenschaftlichen Halbwahrheiten: Lernen im „richtigen Stil“, Gehirntraining per App, verborgene Hirnreserven. Neuromythen sind zu einem Milliardengeschäft geworden und halten sich hartnäckig in Schulen, Büros und Fitnessstudios. Was treibt diese Mythen an – und warum sind sie so schwer totzukriegen?
Ein Neuromythos ist ein weit verbreiteter, aber wissenschaftlich nicht haltbarer Glaube über das menschliche Gehirn und dessen Funktionsweise. Diese Mythen entstehen oft durch vereinfachte Darstellungen neurowissenschaftlicher Erkenntnisse oder durch fehlerhafte Interpretationen wissenschaftlicher Studien und haben sich in populären Vorstellungen über das Lernen, die Intelligenz und die Funktionsweise des Gehirns verankert.
Neuromythen Frames und Narrative
Neuromythen nutzen häufig bestimmte Frames und Narrative, um plausibel und überzeugend zu wirken. Diese wiederkehrenden Muster spielen mit unseren Erwartungen und Vorstellungen, sodass sie leicht verbreitet und akzeptiert werden. Typische Frames und Narrative, die bei Neuromythen immer wieder auftauchen sind:
Neuromythen: Frame der ungenutzten Ressourcen
Beispiel: Der Mythos, dass wir nur 10 % unseres Gehirns nutzen.
Narrativ: Menschen haben ein enormes, ungenutztes Potenzial, das nur darauf wartet, entfesselt zu werden.
Wirkung: Dieser Frame spricht die Sehnsucht nach Selbstoptimierung an und suggeriert, dass es eine einfache Methode gibt, das eigene Potenzial vollständig auszuschöpfen. Das Narrativ verspricht oft eine „Geheimtechnik“ oder einen „Schlüssel“ zur Aktivierung brachliegender Fähigkeiten.
Neuromythen: Frame der individuellen Anpassung
Beispiel: Der Mythos der Lerntypen (visuell, auditiv, kinästhetisch).
Narrativ: Jeder Mensch ist einzigartig und lernt auf eine besondere Weise; Erfolg im Lernen hängt davon ab, diese persönliche Präferenz zu berücksichtigen.
Wirkung: Dieser Frame unterstreicht die Individualität und suggeriert, dass man durch die Anpassung von Lernmethoden seine Lernergebnisse verbessern kann. Die Vorstellung einer „maßgeschneiderten“ Lernstrategie hat intuitiven Reiz und passt zum heutigen Trend zur Personalisierung.
Neuromythen: Frame des schnellen Fortschritts
Beispiel: Gehirntrainings-Apps, die Intelligenz steigern sollen.
Narrativ: Eine regelmäßige, einfache Aktivität kann zu erheblichen und raschen Verbesserungen der kognitiven Fähigkeiten führen.
Wirkung: Dieser Frame spielt auf die Hoffnung an, dass man ohne großen Aufwand große Fortschritte erzielen kann. Es ist der gleiche Mechanismus, den auch andere Versprechen der Selbstoptimierung nutzen (z.B. „schneller Erfolg durch 5 Minuten täglich“), was vor allem in der modernen, hektischen Gesellschaft ankommt.
Neuromythen: Frame der biologischen Determination
Beispiel: Linke vs. rechte Gehirnhälfte bestimmt analytische vs. kreative Persönlichkeit.
Narrativ: Die Persönlichkeitsmerkmale und Fähigkeiten eines Menschen sind durch angeborene Gehirnstrukturen vorbestimmt.
Wirkung: Dieser Frame nutzt die Vorstellung einer festen, biologischen Verankerung. Er vermittelt die Idee, dass bestimmte Talente oder Schwächen tief in der Hirnstruktur verankert sind, was unsere Stärken oder Schwächen „natürlich“ erscheinen lässt. Dies kann zum Teil auch beruhigend wirken, da es die Verantwortung von individueller Anstrengung nimmt.
Neuromythen: Frame des Schutzes vor Schädlichem
Beispiel: „Zucker ist schlecht für das Gehirn und beeinträchtigt das Denken“.
Narrativ: Bestimmte Verhaltensweisen oder Substanzen stellen eine Gefahr für die geistige Gesundheit und Leistungsfähigkeit dar.
Wirkung: Dieser Frame bezieht sich auf die Sorge um die eigene Gesundheit und spielt mit dem Wunsch, sich und sein Gehirn zu schützen. Oft handelt es sich hierbei um vereinfachte Zusammenhänge, die Ängste ansprechen und so die Akzeptanz erhöhen.
Frame der Selbstkontrolle und Eigenverantwortung
Beispiel: Mythen über Ernährung und Gehirn, z.B. dass „Superfoods“ das Gehirn „boosten“ können.
Narrativ: Man kann die Leistungsfähigkeit seines Gehirns aktiv steigern oder schützen, wenn man bestimmte Entscheidungen trifft.
Wirkung: Dieser Frame spricht das Bedürfnis nach Kontrolle über die eigene geistige Leistungsfähigkeit an. Durch einfache Verhaltensweisen (z.B. bestimmte Ernährung, Nahrungsergänzungsmittel) soll es möglich sein, geistige Gesundheit und Leistung zu steigern. Das Narrativ vermittelt das Gefühl, selbst aktiv etwas tun zu können, um „mental fit“ zu bleiben.
Neuromythen: Frame des geheimen Wissens
Beispiel: Die Idee, dass nur wenige „Eingeweihte“ wissen, wie man sein Hirnpotenzial maximal nutzt.
Narrativ: Es gibt besonderes Wissen über das Gehirn, das nur von wenigen verstanden wird und das es ermöglicht, „übermenschliche“ Fähigkeiten zu erreichen.
Wirkung: Dieser Frame spielt auf die Faszination für exklusives Wissen an. Er schafft ein Gefühl von Besonderheit und das Verlangen, „Eingeweihter“ zu werden, was viele dazu bringt, solchen Mythen Glauben zu schenken oder spezielle Methoden auszuprobieren.
Zusammenfassung
Neuromythen nutzen Frames und Narrative, die psychologische Bedürfnisse, Wünsche oder Ängste ansprechen – wie das Bedürfnis nach Selbstoptimierung, Kontrolle, Schutz oder Individualität. Sie verwenden oft intuitive, aber ungenaue Vorstellungen, um komplexe Sachverhalte stark zu vereinfachen, was sie leicht verdaulich und dadurch weit verbreitet macht.