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Die Irrtümer der Amygdala

Wenn es um unsere Emotionen und Entscheidungen geht, wird die Amygdala oft als das alleinige Zentrum der Angst und Impulsivität dargestellt. Doch diese Sichtweise greift zu kurz und kann uns in unseren Handlungen behindern.

ein Schalter im Gehirn

In der populären Wissenschaft wird die Amygdala häufig als unser inneres Alarmsystem beschrieben, das unablässig und automatisch auf potenzielle Gefahren reagiert. Die Vorstellung ist verführerisch: Ein „Schalter“ im Gehirn, der Angst und Bedrohungen registriert und sofort Alarm schlägt.

Doch diese Sichtweise ist stark vereinfacht. Sie ignoriert die komplexe Netzwerkstruktur unseres Gehirns, in der zahlreiche Regionen zusammenarbeiten, um Emotionen zu regulieren und Entscheidungen zu treffen.

Wenn das Alarmsystem überreagiert
Die Irrtümer der Amygdala

Wenn wir hören, dass „Angst in der Amygdala sitzt“, wird suggeriert, dass diese kleine Mandelstruktur das alleinige Zentrum für Angst und Furcht ist. Diese Annahme vernachlässigt die Rolle anderer Hirnregionen, wie des präfrontalen Kortex, der für rationale Überlegungen und das Abwägen von Risiken zuständig ist.

Die Vorstellung, dass die Amygdala die Exklusivrechte auf Angst hat, führt zu einem einseitigen Verständnis von emotionalen Reaktionen und lässt die Komplexität des menschlichen Erlebens außen vor.

Amygdala-Hijack

Eine weitere gebräuchliche Metapher, die in diesem Kontext oft verwendet wird, ist die des „Amygdala-Hijack“ oder der „Amygdala-Entführung“. Hier wird beschrieben, wie die Amygdala unser Denken übernimmt und rationale Entscheidungen blockiert, wenn sie aktiv wird. Diese Idee impliziert, dass wir in solchen Momenten unserer Fähigkeit zur Selbstkontrolle beraubt sind.

Doch auch diese Metapher ist problematisch. Sie suggeriert, dass wir vollständig von einem „primitiven“ Teil unseres Gehirns gesteuert werden, während wir in Wirklichkeit über Strategien und Fähigkeiten verfügen, um unsere Emotionen zu regulieren und besonnene Entscheidungen zu treffen.

Das Bild vom „primitiven Reptiliengehirn“ bzw. Neandertaler-Hirn, das uns zu impulsiven Handlungen drängt, ist eine weitere vereinfachende Darstellung, die uns in eine vermeintlich festgelegte Verhaltensweise drängt. Tatsächlich ist unser Gehirn kein monolithisches Gebilde; es hat sich über Millionen von Jahren entwickelt und ist in der Lage, auf komplexe soziale und emotionale Situationen differenziert zu reagieren.

die Amygdala verstellt den Blick

Die Reduzierung menschlichen Verhaltens auf die Funktionsweise der Amygdala verstellt den Blick auf die wirklichen Möglichkeiten der Selbstregulation und Veränderung. Emotionen sind nicht nur biologisch, sondern auch sozial und kulturell geprägt. Wir sind in der Lage, unsere Ängste zu reflektieren, Strategien zu entwickeln und uns in schwierigen Situationen anders zu verhalten.

Das Amygdala-Narrativ, das die Amygdala als Zentrum für Emotionen wie Angst, Wut und Aggression beschreibt, ist wissenschaftlich problematisch, weil es eine zu vereinfachte Sicht auf die Funktion dieser Gehirnregion darstellt. Es greift auf überholte Konzepte zurück und ignoriert die komplexe, vielseitige Rolle der Amygdala und anderer Hirnregionen bei der Verarbeitung und Regulation von Emotionen und Verhalten.

tiefer Zugang zu unseren Emotionen

Indem wir die Amygdala als das alleinige Zentrum von Angst und Impulsivität betrachten, verlieren wir den Zugang zu einem tieferen Verständnis für unsere Emotionen. Es ist wichtig, die Zusammenarbeit aller Hirnregionen sowie die Rolle von Umwelt und sozialen Kontexten zu erkennen.

Nur so können wir lernen, besser mit unseren Ängsten umzugehen und Veränderungen aktiv und reflektiert zu gestalten. Es ist an der Zeit, das Bild von der Amygdala zu erweitern und sie nicht als das alleinige Alarmsystem zu betrachten, sondern als Teil eines vielschichtigen und dynamischen Gehirns, das uns in einem komplexen sozialen Umfeld navigieren lässt.